Neuroethology / Neurobiology

                             

 Drittmittelübersicht der Abteilung Neurobiologie/Neuroethologie

Drittmittelgeber

Bezeichnung des Programms/Aktenzeichen

DFG-Normalverfahren
1968-1980

Ew7/1-6, Kennwort: Krötenbeutefang

DFG-Forschergruppe
1971-1973

Az.: 741,29

DFG Sonderforschungsbereich

SFB 45

DFG Schwerpunktprogramm
1981-1985

Neurale Grundlagen des Verhaltens

DFG Schwerpunktprogramm
1982-1988

Physiologische Psychologie des Lernens

DFG-Normalverfahren

BMFT/BMBF/DLR Verbund-Projekt 1990-1995

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ESF   2000-2004

Ew 7/9-2; Sch 526/2/2

Sensorisch-motorische Koordination von Roboterbewegungen mit Neuronalen Netzen (SEKON) 413-5839-01IN C4 (Ewert)

                   .                 .      Europarat


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BMFT/BMBF-Verbundprojekt "SEKON"

Sensorisch-motorische Koordination von Roboterbewegungen mit Neuronalen Netzen

Sensori-motor Coordination of Robotic Movements by Means of Neuronal Nets
Laufzeit: 1990 - 1995
 

Verbundpartner

Univ.-Prof. Dr. H. Cruse  [Biokybernetik, Univ. Bielefeld]
Univ.-Prof. Dr. J.-P. Ewert  [Neurobiologie, Univ. Kassel (UniK)]
Univ.-Prof. Dr. F. Pfeiffer  [Robotik, TU München]
Univ.-Prof. Dr. H. Ritter  [Neuroinformatik, Univ. Bielefeld]

Projekt Ewert

Verarbeitung visueller Information in biologischen und künstlichen neuronalen Netzen; Verarbeitungsprinzipien und Modulation visueller Information

Processing of Visual Information in Biological and Artificial Neuronal Nets; Principles of Processing and Modulation of Visual Information

Gefördert durch die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR), Projektträger des BMFT (Bundesministerium für Forschung und Technologie) für Informationstechnik.

 
Wissenschaftliche Angestellte im BMFT-Projekt Ewert

  • Dr. Thomas W. Beneke [UniK], Dipl.-Biologe, Neurobiologie
    Thema: Quantitative Beschreibung von Interaktionen zwischen Neuronennetzwerken der Kröte.
  • Dr. Siegfried Bös [BMFT], Dipl.-Physiker, Neuroinformatik
    Thema: Detektion und Zuordnung bewegter figuraler Muster zu Bedeutungsklassen mit Hilfe künstlicher neuronaler Netze (MODNetz) unter Berücksichtigung an Kröten gewonnener Verarbeitungsprinzipien.
  • Harald Buxbaum-Conradi [1/2 UniK], Biologe, Neurobiologie
    Thema: Physiologische Identifikation prosencephalo-tectaler Projektionen bei Kröten.
  • Dr. Stephan Fingerling [BMFT], Dipl.-Mathematiker, Neuroinformatik Thema: Detektion und Zuordnung bewegter figuraler Muster zu Bedeutungsklassen mit Hilfe künstlicher neuronaler Netze (MODNetz) unter Berücksichtigung an Kröten gewonnener Verarbeitungsprinzipien.
  • Dr. Manuela Gernert, Dipl.-Biologin, Neurobiologie
    Thema: Neuropharmakologie des Tectum opticum.
  • Michael Glagow [BMFT], Biologe, Neurobiologie
    Thema: Reizmuster induzierte Aktivitätsmuster in Neuronennetzwerken der Kröte.
  • Dr. Evelyn Schürg-Pfeiffer [1/2 UniK], Dipl.-Biologin, Neurobiologie
    Thema: Analyse von Neuronen freibeweglicher Kröten.
  • Dr. Wolfgang W. Schwippert [UniK], Dipl.-Biologe, Neurobiologie
    Thema: Funktionsanalyse von Neuroarchitekturen bei Kröten.

Studentische Wissenschaftliche Hilfskräfte im BMFT-Projekt Ewert

  • Thomas Dapper, Mathematik.
    Thema: Software für computergenerierte bewegte Videomuster ("WurmSim").
  • Carsten Dietrich, Mathematik.
    Thema: Software für computergenerierte bewegte Videomuster ("WurmSim").
  • Andreas Dinges, Dipl.-Biologe, Biologie.
    Thema: Interhemispherischer visueller Transfer von Lernvorgängen bei Kröten.
  • Dominik Disse, Physik.
    Thema: Feedforward-Netz ODANN (Dokumentation).
  • Manuela Gernert, Biologie.
    Thema: Neuropharmakologie des Tectum opticum.
  • Olaf Hesebeck, Physik.
    Thema: Feedforward-Netz ODANN (Programm-Entwicklung) und MODNetz-Demonstrationsprogramm.
  • Jürgen Rauch, Mathematik.
    Thema: Entwicklung der Software "Automet" zur Auswertung autoradiografischer Bilder von Hirnschnitten".
  • René Seeber, Mathematik.
    Thema: Entwicklung von Software für selbstorganisierende Karten ("MODNet").
  • Sabine Wachowitz, Biologie.
    Thema: Visuelle Musterunterscheidung beim Beutefang der Agakröte.

Technische Angestellte im BMFT-Projekt Ewert

  • Gudrun Frühauf [1/2UniK], Sekretärin
  • Gisela Kaschlaw [UniK], Tierpflegerin.
  • Carolin McManus [BMFT-Stelle], Histologie [bis 1995]
  • Christa Uthof [1/2UniK], Histologie [ab 1995]
  • Karin Große-Mohr [1/2 UniK], Histologie.
  • Ursula Reichert [UniK], EDV [ab 1995]

 

Forschungsbericht 1990 - 2006

Bezug der Ergebnisse zu förderpolitischen Zielen des BMFT/BMBF  

Das grundlagenorientierte Entwicklungsvorhaben Neuroinformatik geht davon aus, dass das Verständnis von Hirnfunktionen einerseits zur Erhellung der Prinzipien biologischer Informationsverarbeitung beiträgt und andererseits die Voraussetzungen für die Umsetzung solcher Erkenntnisse in technische Anwendungen schafft (z.B. Bildverarbeitung). In der Evolution haben sich im Tierreich in Anpassung an verschiedene Problemstellungen Neuroarchitekturen für die Lösung zugeordneter Aufgaben herausgebildet. Lebende Systeme sind gewissermaßen die Beweise für Problemlösungen. Im Verbund-Förderprogramm Informationsverarbeitung in neuronaler Architektur sollte untersucht werden, inwieweit sich die in der Neurobiologie erarbeiteten Modellvorstellungen über Informationsverarbeitung für die Entwicklung neuartiger informationsverarbeitender technischer Systeme nutzen lassen.

Eine Einschränkung "klassischer" künstlicher neuronaler Netze KNN besteht darin, dass zuwenig neurobiologische Netzwerkarchitekturen berücksichtigt werden, denn die KNN-Topologie wird weitgehend durch Eingabe/Ausgabe konstruiert. Folglich sah es das Förderprogramm als wesentlich an, auch experimentell angelegte Projekte grundsätzlichen Charakters zu unterstützen, die zur Weiterentwicklung der Theorie beitragen. Um sich verstärkt an das biologische Vorbild anlehnen zu können, gehört hierzu die Einbindung von Forschungsergebnissen über Bildverarbeitung und sensorische Bewegungssteuerung. Unter Berücksichtigung neurophysiologischer Verarbeitungsstrukturen waren somit Architekturen zu entwickeln, in denen Neuronen zu Systemen integriert sind. Zur Eindämmung des bei komplexen Anwendungen rasch ansteigenden Konfigurierungs- und Rechenaufwands sollten solche Systeme gegenüber Veränderungen der Aufgabenstellungen und Randbedingungen inhärent flexibel sein.

Gesamtziel des Verbundprojekts SEKON

Die angestrebten Forschungsziele betreffen Grundlagenfragen für das Verständnis neuronaler Informationsverarbeitung und stehen somit in engem Bezug zu wichtigen Aspekten des Förderprogramms. Das Verständnis von Hirnfunktionen soll a) zur Erhellung der Prinzipien biologischer Informationsverarbeitung beitragen und b) die Voraussetzungen für die Umsetzung solcher Erkenntnisse in technische Anwendungen schaffen (z.B. Bildverarbeitung, Parallelisierung). Die Einbindung von Forschungsergebnissen der Neurobiologie ist daher ein integraler Bestandteil aller Teilprojekte und soll unter anderem Erkenntnisse über die von der Natur über Jahrmillionen optimierten Vereinfachungen des Gesamtproblems einbringen. Die Einbindung von neurobiologischen Erkenntnissen betrifft zum anderen die Konzentration auf Algorithmen, die sozusagen in natürlicher Weise in parallelen Netzwerkarchitekturen implementiert sind. Im Gegensatz zu bisherigen Ansätzen dieser Art, die hauptsächlich die Erforschung der Eigenschaften allgemeiner Netzwerktypen zum Ziel hatten, soll für das vorliegende Projekt die aufgabenabhängige Vorstrukturierung von Netzwerken einen wichtigen Gesichtspunkt bilden. Dies betrifft einerseits Fragen nach geeigneter System-Modularisierung und andererseits Methoden zu aufgabengünstiger interner Vorstrukturierung der einzelnen Module. Die Erforschung beider Aspekte ist ein wichtiges Erfordernis, um neuronale Netze als Bausteine komplexer Systeme gezielt einsetzen zu können.

Zweifellos kann das Ziel nicht darin bestehen, das ZNS eines bestimmten Organismus zu kopieren – gesetzt den Fall, dies wäre möglich – , vielmehr mögen verschiedene in der Natur realisierte sensorisch-motorische Koordinations-Prinzipien aufgedeckt und für die Lösung technischer Probleme genutzt werden.

Die Biologie liefert diverse Beispiele, die im Rahmen dieses Vorhabens zu analysieren sind, und an denen sich die Gewinnung systemübergreifender algorithmischer Lösungen orientieren kann. Vom Vorbild biologischer Lösungen ausgehend sollen in dem Verbundvorhaben z.B. Algorithmen entwickelt werden, mit deren Hilfe mehrere, selbständige (motorische und sensorische) Subsysteme zwecks Erreichung eines übergeordneten Ziels kooperieren. Solch eine Fragestellung kann z.B. anhand des Problems der visuomotorischen Koordination einer bzw. mehrerer Mehrgelenkextremitäten untersucht werden. Dies würde einen wichtigen Beitrag liefern zu den bisherigen, hauptsächlich auf Realisierung isolierter Subsysteme basierender Forschungsansätze. Das Ziel kann innerhalb mehrerer Teilprojekte auf unterschiedlichen logischen Ebenen systematisch angegangen werden.

In einer ersten Projektphase sollten Mechanismen zur Koordination mehrerer motorischer Subsysteme – bzw. mehrerer visueller Subsysteme jeweils untereinander – entwickelt werden. Auf der motorischen Seite sind als Subsysteme z.B. die verschiedenen Gelenke eines redundanten Arms – und mehrere Arme in ihrem Zusammenwirken – zu betrachten. Als ein in der Biologie relativ einfach zu untersuchendes, und deshalb gut studiertes, Paradigma kann die Koordination von Beinbewegungen dienen. Die angestrebten Steuerungsalgorithmen ließen sich dann im gesamten Bereich der Robotik einsetzen. Dies gilt sowohl für redundante Einzelarme als auch für das Zusammenwirken mehrerer Manipulatoren.

Im Falle der visuellen Subsysteme sollten Strategien zur Kopplung mehrerer "visueller Module" entwickelt werden, die jeweils auf die Auswertung eines engen Bereichs visueller Information (Stereo-, Textur-, Kanten-, Bewegungs- oder Schattierungsinformation) spezialisiert sind. Ein wichtiges Ziel besteht in erhöhter Robustheit visueller Algorithmen (z.B. gegenüber Randeinflüssen) durch frühzeitige Integration unterschiedlicher sensorischer Informationen.

Wie sich in vielen Fällen gezeigt hat, treten manche Probleme erst dann zutage, wenn die Algorithmen auf ein reales mechanisches System übertragen werden sollen. Daher war vorgesehen, als wichtiges Teilprojekt eine Simulationsplattform zu entwickeln. Um die Möglichkeiten der Realisierung derartiger Prinzipien zu untersuchen, soll ein Koordinationssystem zunächst simuliert und später für Tests als Roboter-Prototyp konstruiert werden.

Aufgabenstellung im Projekt Ewert

Ein einleitendes Szenario. Einem Ingenieur möge die Aufgabe gestellt werden, ein Bild-verarbeitendes System zu entwickeln, das (a) bewegte Objekte detektiert, (b) bewegte Objekte (rechtwinklig oder elliptisch) nach Form und Größe – bezogen auf die Bewegungsrichtung – dimensioniert, (c) die Dimensionierung unabhängig von der Position des bewegten Objekts und unabhängig von der Richtung der Bewegung trifft und (d) bewegte Objekte aufgrund ihrer Dimensionen klassifiziert.

Auf den ersten Blick erscheint die Aufgabe lösbar, wenn nicht die Invarianz-Bedingung (c) zu erfüllen wäre. Die Problematik lässt sich wie folgt veranschaulichen: Ein rollender Bleistift soll als solcher erkannt werden können, egal in welche Richtung er rollt. Oder: Ein Inter-City-Express soll aus der Luft als Zug erkannt werden unabhängig von der Gleisführung. Solche Invarianzprobleme der Musterdetektion (Richtungsinvarianz) ließen sich konventionell explizit mit Hilfe von asymmetrischen Prozessoren lösen, wozu allerdings ein nicht unerheblicher Konfigurierungs- und Rechenaufwand erforderlich wäre.

Das biologische Vorbild. Es gibt Organismen, die bei der Detektion ihrer natürlichen Umgebung mit prinzipiell vergleichbaren Aufgaben konfrontiert sind, – wie z.B. die Erdkröte. Zur Erkennung von Beute und Feind ist ihr visuelles System auf bewegte Objekte ausgerichtet, die sie mit starrgehaltenen Augen wahrnimmt. Dabei ist es unerheblich, ob das retinale Abbild durch die Bewegung des Objekts oder durch die Bewegung des Kopfes der Kröte angesichts eines stationären Objekts zustande kommt, vorausgesetzt, dass im letzteren Fall der Hintergrund homogen, d.h. nicht strukturiert ist (Burghagen und Ewert 1983).

Der Beutefang der Kröte besteht aus einer dem Ortssignal angepassten Reaktionssequenz: Zuwendung zur Beute, Annäherung, Fixieren und Zuschnappen. Die Auslösung jeder dieser Teilhandlungen setzt Beuteerkennung voraus. An das geschilderte Szenario anknüpfend stellen wir die Kröte vor folgende Wahl: 1.) Vor ihr wird ein 3 x 40 mm 2 großer rechtwinkliger Streifen aus schwarzem Karton in Richtung seiner Längsachse bewegt. Er löst Beutefang aus, und zwar unabhängig davon, in welcher Richtung er das Gesichtsfeld der Kröte durchquert; wir sprechen im Laborjargon von Wurm[W]-Konfiguration. 2.) Derselbe Streifen wird jeweils so bewegt, dass die lange Achse quer zur Bewegungsrichtung ausgerichtet ist. Er verliert sein Beutesignal und wirkt eher als Bedrohung, egal, in welche Richtung er bewegt wird; hier sprechen wir von Antiwurm[A]-Konfiguration.

Das Krötenhirn muss also das oben angesprochene Problem der Richtungsinvarianz (Vergleich: "fahrender ICE-Zug mit unterschiedlicher Gleisführung" bzw. "in unterschiedliche Richtungen rollender Bleistift") im Prinzip gelöst haben. Auf der Suche nach neurophysiologischen Grundlagen zeigt sich, dass die meisten untersuchten Neuronen des visuellen Systems, die für die Auswertung visueller Signale zur Unterscheidung Beute/Nichtbeute infrage kommen, keine hervorstechenden Asymmetrien "im klassischen Sinne" aufweisen, was z.B. die Form der exzitatorischen rezeptiven Felder oder Bewegungsrichtungsspezifitäten anbetrifft (Ewert 1984, 1989, 2004). Demnach scheinen die W- oder A-Konfigurationen nicht explizit erfasst zu werden. Vielmehr muss die Unterscheidungsfähigkeit implizit in einer Verarbeitungsstruktur enthalten sein, die prinzipiell die Geometrie eines Objekts auf dessen Bewegungsrichtung bezogen auswertet, – ein Prozess, der für alle Richtungen der Bewegung und für jeden Ort im Gesichtsfeld gleichermaßen abläuft.

Perspektiven. Zur Lösung der Aufgaben (a)-(d) knüpfen wir an neurobiologische Modelle des visuellen Systems der Kröte an (Ewert und v. Seelen 1974; Arbib 1989; Ewert 2004). Nach einer Modellvorstellung beruht visuelle figurale Musterverarbeitung hauptsächlich auf parallelen retino-tectalen und retino-praetectalen Prozessen und die Musterdiskrimination auf Interaktion beider Prozesse. Verschiedene Aspekte erfassende Neuronen-Klassen bilden in bestimmter Kombination jeweils "Senso-motorische Codes" (Ewert 1989, 1997, 2002), die ihrerseits zugeordnete Verhaltensprogramme abrufen. Neuronenschleifen in Verbindung mit Vorderhirnregionen machen die Verarbeitungsstruktur (i) lernfähig unter Beteiligung des posterioren ventromedialen Pallium (Finkenstädt and Ewert 1988; Merkel-Harff and Ewert 1991), (ii) startfähig unter Beteiligung des posterioren ventralen Striatum (Matsumoto et al. 1992) und (iii) angepasst an innere Bedingungen unter Beteiligung des Hypothalamus (vgl. auch Ewert 1989; Ewert et al. 2001).

Im Projekt Ewert soll unsere Vorstellung über Architekturen und Verarbeitungsstrukturen unter den Aspekten der Integration, Interaktion und Modifikation experimentell konkretisiert und die Theorie weiterentwickelt werden. "Philosophien" biologischer Prinzipien – im Sinne der Erkenntnis von Zusammenhängen – sollen in die Entwicklung künstlicher neuronaler Netze (KNN) einfließen. Im Rahmen der Verbundkooperation wird das KNN in einer Experimentierplattform "Kröte/Roboter" zum Selektieren bandbewegter Objekte eingesetzt. Dieser Brückenschlag von der Neurobiologie zur Technik ist im Zusammenhang mit der Lösung diverser Schnittstellenprobleme zunächst vor allem heuristisch von Interesse.

Ausgehend von Ergebnissen der neurobiologischen Grundlagenforschung an hirnanatomisch/physiologisch relativ einfach differenzierten Wirbeltieren (Kröten) sollen Vorstellungen hinsichtlich Kodierung, Modifikation und motorischer Umsetzung visueller Informationen entwickelt und anhand von Simulationsmodellen verifiziert werden. Ein auf Schema-Theorie basierender (Arbib 1982) hindernisvermeidender mobiler Roboter ist schon vor längerer Zeit realisiert worden (Arkin 1989), wobei an Kröten und Fröschen gewonnene neurobiologische Daten in die Entwicklung eingeflossen sind. Die für solche Simulationen zu berücksichtigenden Daten beziehen sich auf bestimmte visuelle Parameter wie: Unterscheidung bewegter figuraler Muster, Objekt-Hintergrund-Separierung, Invarianzen der Musterdiskrimination und Modulation/Modifikation der Musterdiskrimination (siehe auch Ewert & Arbib 1989; Ewert et al. 2001).

Davon ausgehend, dass bei einem in seiner Umgebung autonom (re-)agierenden – oder visuell gesteuerten – Roboter solche Prozesse relevant sind, soll untersucht werden, inwieweit die im Gehirn von Kröten wirksamen Mechanismen für die aufgabenbezogene Konzeption der Maschine eingesetzt werden können. Selbstverständlich ist dabei nicht an eine Ausstattung der Maschine mit Krötensensorik und Krötenverhalten gedacht. Vielmehr kommt es darauf an, Prinzipien visueller Informationsverarbeitung der Kröte – im Sinne von "Philosophien" – für eine Anwendung zu extrahieren und entsprechende Modellvorstellungen projektbezogen zu entwickeln. Dazu muss die an der Transformation visueller Informationen beteiligte Neuroarchitektur weiter strukturell und funktionell aufgeklärt werden. Im Vordergrund des Interesses stehen dabei Fragen nach der Kodierung visueller Musterkonfigurationen. Zum Beispiel wäre im Dialog mit den Verbundprojektpartnern zu prüfen, ob die Bildverarbeitung stationärer bzw. bewegter Objekte "ganzheitlich" erfolgen oder sich auf bestimmte Zeichen und Merkmale beziehen soll. Parallel dazu muss geprüft werden, inwieweit weiterführende strukturelle und funktionelle Erkenntnisse von Prinzipien in KNNs einfließen können.

Wissenschaftlicher Erfolg des Projekts sowie Nebenergebnisse und Erfahrungen

Unser Projekt liefert zum SEKON-Verbundprojekt grundlagenbezogene, neurobiologische und anwendungsorientierte neuroinformatische Beiträge zur Steuerung von Roboterbewegungen mit neuronalen Netzen. Den förderpolitischen Zielsetzungen wurde im Teilprojekt Ewert weitgehend entsprochen. In der Evolution hat sich im visuellen System der Kröten ein höchst ökonomisches Verarbeitungsprinzip herausgebildet, das bewegte Objekte aufgrund von relativ einfachen Merkmalsbeziehungen bestimmten Bedeutungsklassen zuordnet, z.B. Beute, Partner, Feind, Bedrohung. Das von uns entdeckte Prinzip des "implicit computing" ermöglicht – in Verbindung mit parallel-distributiver Informationsverarbeitung – Fähigkeiten, die mit konventioneller Technik enorm hohen Konstruktions- und Rechenaufwand erfordern würden. Dies betrifft die Merkmalsextraktion, die Invarianzbedingungen für Merkmalszuordnungen, die modulatorischen Veränderungen (assoziative Anpassungen) sowie die Objekt/Hinter-grund-Separation (Ewert 2004).

In Verbundkooperation entstand die Experimentierplattform Kröte/Roboter: "Sortieren und Klassifizieren förderbandbewegter Objekte" (Verbundpartner: Prof. Dr. Pfeiffer) und ein Kröten-Simulationsmodell zur "Approximation neurobiologischer Netzwerkparameter durch Supervised Training" (Verbundpartner: Prof. Dr. Ritter). Die neurobiologischen Experimente unterschiedlicher Methodik galten der Überprüfung und Absicherung von Arbeitshypothesen sowie der weiteren Aufklärung der Verarbeitungsstruktur. Für die Experimentierplattform wurde von uns ein modular strukturiertes KNN –  sog. MOD-Netz – entwickelt, das sich an neurobiologischen Prinzipien orientiert.

Neuroinformatische Teilabschnitte im Projekt Ewert

Teilabschnitt: Dimensionieren und Klassifizieren bewegter Objekte mit Hilfe künstlicher neuronaler Netze (KNN). Die Zielsetzung im neuroinformatischen Abschnitt besteht in der Entwicklung von KNN unter Berücksichtigung der neurobiologischen Abschnitte, ohne hier den Anspruch erheben zu wollen, die betreffende Verarbeitungsstruktur vollständig krötengerecht zu simulieren. Die anwendungs-orientierte Aufgabe eines solchen KNN könnte darin bestehen, (förderband)bewegte Objekte (z.B. Koffer, Pakete, Päckchen) aufgrund ihrer Ausdehnungen zu dimensionieren und zu klassifizieren und – gegebenenfalls – einen Roboter anzuweisen, jene mit einem Greifer entsprechend zu sortieren. Hierzu wurde frühzeitig zur Lösung diverser Schnittstellenprobleme in Kooperation mit Verbundpartner Prof. Dr. Pfeiffer an der TU München eine Experimentierplattform Kröte/Roboter installiert.

Die Bildvorverarbeitung bedient sich der Differenzbildanalyse. Aus zwei kurz hintereinander aufgenommenen Videokamerabildern wird ein Differenzbild erstellt. Dieses Verfahren ermöglicht es, den Vorgang der Bewegung eines Objekts in ein stationäres Bild umzuwandeln. Die biologische Motivation hierfür wird aus einem Modell der Retina abgeleitet, das Kontrastkanten-empfindliche on- und off-Bipolarzellen berücksichtigt.

Zunächst bildet ein Funktionsmodell der Beute/Nichtbeute-Unterscheidung die Grundlage für die Topologie eines relativ einfachen Feedforward-Netzes mit einem für den Backpropagation-Lernalgorithmus geeigneten Aufbau. In mehreren Versuchsreihen wurden die Einsatzmöglichkeiten eines solchen Systems für die Musterunter-scheidung getestet. Solche Netze könnten im Bereich der Bildverarbeitung eine Vorklassifizierung bezüglich der grundsätzlichen äußeren Muster-Form vornehmen, da die Unterscheidung zwischen ähnlichen Klassen einen relativ stark anwachsenden Rechenaufwand nach sich ziehen würde.

            W-Konfiguration                                A-Konfiguration                    

 Bild

 KNN

 Roboter

Zur Separierung von rechtwinkligen Objekten mit feineren Unterschieden ist eine andere Verarbeitungsstruktur erforderlich. Während beim vorhergehenden Ansatz ein verhaltensbiologisches Prinzip in ein Backprop-KNN trainiert wurde, bilden bei diesem System neurobiologische Ergebnisse die Rahmenbedingungen für die Modellarchitektur. Das modular strukturierte MODNetz nutzt das parallel-distributive Verarbeitungsprinzip des visuellen Systems der Kröte (Ewert 1997, 2003, 2004).

Die Analyse der Objektausdehnungen in und parallel zur Bewegungsrichtung wird nicht gelernt, sie resultiert vielmehr aus der Verarbeitungsstruktur praetectum- und tectumanaloger Funktionsmodule. Dieses sich an neurobiologische Prinzipien anlehnende Netz setzt biologische abstrakte Merkmalsvektoren in technische Größen um: Berechnung der abstrakten Merkmalspräsentation und Umsetzung in Größen der technischen Wahrnehmung (Ewert, Buxbaum-Conradi, Fingerling et al. 1992; Fingerling, Ewert, Menzel, Pfeiffer 1993; Fingerling 1994; Bös & Ewert 1995; Ewert 2004).

Teilabschnitt: MODNetz-Demonstrationsprogramm. Dieses Programm stellt die Funktionsweise des MODNetzes anschaulich dar. Es wendet sich also an einen Benutzer, dem die Aufgabenstellung und die Grundkonzepte dieses neuronalen Netzes bereits bekannt sind und gestattet, die Dimensionen für rechtwinklige Objekte vorzugeben und diese mit den vom Netz berechneten zu vergleichen. Obwohl das Demonstrationsprogramm nicht in der Verarbeitungsgeschwindigkeit optimiert ist und die grafische Darstellung viel Rechenzeit beansprucht, ist zu erkennen, dass das MODNetz selbst in einer nicht parallelisierten Implementation auf üblichen PCs zu einer Objektdimensionierung in Echtzeit in der Lage ist (O. Hesebeck 1995). Diese ist für horizontale und vertikale Bewegungsrichtung recht genau, für schräge wegen der Pixelform jedoch etwas ungenauer. MODNetz-Demo:

Objekt: W-Konfiguration         Differenzbild            Erregungsausbreitung

Wurm-Konfiguration,  horizontale Bewegungsrichtung:

                                       

Wurm-Konfiguration,  schräge Bewegungsrichtung:

                                

 Antiwurm-Konfiguration,  horizontale Bewegungsrichtung:

                          

 Antiwurm-Konfiguration,  schräge Bewegungsrichtung:

                         

Quadrat-Konfiguration,  horizontale Bewegungsrichtung:

                     

Quadrat-Konfiguration,  schräge Bewegungsrichtung:

 

Teilabschnitt: Experimentieranleitung mit dem Feedforward-Netz ODANN (Objekte Dimensionieren mit Artifiziellen Neuronalen Netzen). Die Hauptaufgabe dieses verhaltensbiologische Prinzipien der Kröte berücksichtigende Backprop-Netzes besteht in einer benutzerfreundlichen Anleitung zum Experimentieren mit entsprechender grafischer Oberfläche für Netz-Topologie, Eingriffe in Neuronen des "Hidden-Layer", Lernkurven, Fehlerberechnung, etc. Es können untersucht werden: a) Beziehung zwischen dem Lernverhalten und der Anzahl der Neuronen im Hidden-Layer für einfache Wurm/Antiwurm-Unterscheidung; b) Beziehung wie (a), jedoch mit Längendiskrimination; c) Beziehung wie (b), jedoch mit unterschiedlich großer Eingabematrix; d) Generalisierungsvermögen, z.B. Längeninterpolation; e) Abstraktion; f) Robustheit der Musterdiskrimination des trainierten Netzes nach Ausschaltung von Neuronen im Hidden-Layer und Verlauf des Nachtrainings; g) Unterscheidung von "Initialisierungsneuronen", "Platzhalterneuronen" und "Essentiellneuronen" durch Neuronenausschaltungen im Hidden-Layer, h) Arbeitsteilung unter den Neuronen des Hidden-Layer (D. Disse, J.C. Ewert, O. Hesebeck, H. Langer 1993; Ewert 2004).

Ein ODANN-Netz wird auf Differenzbilder von  W -und A-Mustern unterschiedlicher Länge trainiert (Beispiel für W: 1-2)

Training mit 300K Lernschritten: gutes Konvergenzverhalten

Im trainierten ODANN-Netz wurde ein Neuron des Hidden Layer ausgeschaltet (Läsion L):

Nachtraining des lädierten Netzes mit 300K Lernschritten: kein Konvergenzverhalten

                                                                                  

Im trainierten ODANN-Netz wurde ein anderes Neuron des Hidden Layer ausgeschaltet:

Nachtraining des lädierten Netzes mit 300K Lernschritten: sehr gutes Konvergenzverhalten

Im trainierten ODANN-Netz wurden drei Neuronen des Hidden Layer ausgeschaltet:

                 

Nachtraining des lädierten Netzes mit 300K Lernschritten: kein Konvergenzverhalten

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Teilabschnitt: Analyse von Neuronenableitungen mit neuronalen Netzen. In diesem Teilabschnitt wurde sozusagen der umgekehrte Weg beschritten: Nicht das Krötenhirn steht Pate für ein künstliches neuronales Netz, sondern das künstliche neuronale Netz analysiert Neuronenantworten. Eine Aufgabe neurophysiologischer Ableitungen besteht in der Klassifikation der gemessenen Signale, insbesondere die fehlerfreie Detektion von Aktionspotentialen in verrauschten extrazellulären Multiple-Unit-Registrierungen. Ein Lösungsansatz, der mit einem nach dem Backpropagation-Algorithmus trainierten neuronalen Netz arbeitet (Yamada et al. 1992), detektiert unter solchen Bedingungen nicht zufriedenstellend. Das in diesem Teilabschnitt vorgestellte System Spikator benutzt als Grundlage der Klassifikation ein neuronales Netz vom Kohonentyp. Der Gesamtalgorithmus ist dadurch nicht an bestimmte Muster gebunden, sondern ermittelt die existierenden Klassen selbständig. Mit Ausnahme einiger Parametereinstellungen werden keine zusätzlichen Angaben benötigt. Insbesondere entfällt die Notwendigkeit, eine bewertete Lektion erstellen zu müssen (Fingerling 1994).

Neurobiologische Teilabschnitte im Projekt Ewert

Teilabschnitt: Verhaltensbiologische Analyse zum Begriff "Beute-Schlüsselreiz". Auf der Suche nach dem "Schlüssel", der es Kröten ermöglicht, zwischen Beute und Nichtbeute zu diskriminieren, fragen wir, wie ihre Beutefangaktivität R auf Änderungen figuraler Merkmale von Beuteattrappen variiert. Innerhalb eines verhaltensrelevanten Merkmalsraums werden längliche Formen, die sich wurmähnlich in Richtung ihrer Körperlängsachse bewegen als Beute bevorzugt. Kröten sind jedoch keine Wurmdetektoren und Würmer bilden nicht die einzige Kröten-Nahrung. Eine neue biometrische Analyse unter Berücksichtigung der Häufigkeitsverteilungen der R-Werte bestätigt, dass die Beutefangauslösung in spezifischer Weise von der Beziehung der Objektausdehnungen parallel (xl 1) und quer (xl 2) zur Bewegungsrichtung abhängig ist. Innerhalb von Grenzen signalisiert Ausdehnung von xl 1 "beuteähnlich" und Ausdehnung von xl 2 "feindlich". Dies gilt auch für segmentierte Reizmuster. Die Klassifikation ist invariant gegenüber der Bewegungsgeschwindigkeit und der Bewegungsrichtung. Kröten vermögen also, bewegte Objekte gemäß der Dimensionen xl 1 und xl 2 zu unterscheiden. Hierzu müssen sie xl 1 und xl 2 erfassen. Aus Experimenten mit Doppelreizen, die in Bezug zur Bewegungsrichtung unterschiedlich angeordnet waren, ergab sich der Hinweis, dass lateral exzitatorische neuronale Prozesse für die Kodierung von xl 1 verantwortlich sind.

Der Algorithmus, der die Merkmale xl 1 und xl 2 aufeinander bezieht, liefert den Schlüssel, mit dem sich das visuelle System der Kröte den Zutritt zur figuralen Signalwelt bewegter Muster erschließt. Nach diesem Konzept werden einzelne Beutetiere nicht explizit detektiert, sondern sie sind implizit in einem Schema (Kategorie). Die invariante Erfassung der objektdefinierenden Merkmale erfolgt durch "implicit computing" in tectalen (Codierung von xl 1) und praetectalen (Codierung von xl 2) Funktionsmodulen, verbunden mit einem Akkommodations-Mechanismus, der Sensitivität für die reale Objektgröße vermittelt (Größenkonstanzphänomen)(Ewert, Buxbaum-Conradi, Fingerling et al. 1992). Bei der Bewertung der Relation xl 1 : xl 2 handelt es sich bei Amphibien um eine spezies-gemeinsame Eigenschaft, die in spezies-typischer Weise hervortritt bzw. abgewandelt sein kann, – wie Vergleiche zwischen europäischen Erdkröten und südamerikanischen Agakröten deutlich zeigen (Wachowitz & Ewert 1996). Die Vorteile relationaler Signalauswertung werden im Zusammenhang mit Lernprozessen und deren neurobiologischen Korrelaten deutlich.

Das Grund-Modell für die Beute/Feind-Unterscheidung basiert auf der sog. "Window-Hypothese" (Ewert, Scientific American 1974), wonach retino-tectale Einflüsse, allein, Beutefang auslösen, während retino-praetectale Einflüsse – zusätzlich – das Fluchtverhalten bestimmen. Für die Unterscheidung Beute/Feind sind praetecto-tectale inhibitorische Einflüsse verantwortlich. Test: Nach Durchtrennung praetecto-tectaler Verbindungen vermag eine Kröte (oder ein Frosch) nicht mehr zwischen Beute und Feind zu unterscheiden. Das Fluchtverhalten fällt aus, während jeder visuelle Bewegungsreiz – unabhängig von Gestalt und Größe – Beutefang auslöst: 

 große Scheibe

 Schatten eines großen Quadrats

  Antiwurm

  Spielzeuglokomotive

Die praetectalen thalamischen Netzwerke haben weitere Funktionen. Neurophysiologische Untersuchungen zum Größenkonstanzphänomen zeigen einen überraschenden Befund: Neuronen des Tectum opticum der Klassen T4, T5.1- und T5.2 von mobilen (nicht jedoch von demobilisierten) Kröten sind für die reale Größe eines Objekts sensitiv. Dies weist auf Praetectum-vermittelte Einflüsse aus der Linsenakkommodation hin (Spreckelsen, Schürg-Pfeiffer, Ewert 1995). Demgegenüber erfassen retinale Ganglienzellen die Winkelgröße eines Objekts. Das Größenkonstanzphänomen scheint jedoch in den Merkmalsbeziehungs-Algorithmus primär nicht einzugreifen. Vielmehr wird das System durch Modulation entsprechender (praetectaler) Netzwerkparameter – der Tiefeninformation entsprechend – abgestimmt. Die vorliegenden Ergebnisse widerlegen spekulative Betrachtungen und Postulate von G. Roth, Univ. Bremen (vgl. Ewert 1994 in Neumann & Scharf; Ewert 2004).

Teilabschnitt: Parallele Verarbeitung visueller Reize in tectalen und praetectalen Neuronenpopulationen. Die vom Auge angebotene Information wird parallel in verschiedenen Hirnstrukturen unter diversen Aspekten ausgewertet, – bei Kröten maßgeblich im Tectum opticum des Mittelhirns und in der praetectalen Region des Zwischenhirns. Im ersten Teil dieses Untersuchungsabschnitts beschäftigten wir uns mit Fragen nach der Isomorphie zwischen Signalwelt und zentraler Repräsentation in der retino-tectalen Karte am Beispiel der Abbildung von on/off-Signalen. Zur Erfassung der Antworten von Neuronenpopulationen der oberflächigen Tectum-Schichten wurden aus verschiedenen Bereichen der Repräsentation des kontralateralen Gesichtsfeldes Feldpotentiale abgeleitet. In Abhängigkeit vom Ableitort waren die on- und off-Antworten unterschiedlich betont, oder sie fehlten ganz. Die Latenz der on-Antwort war signifikant länger als die der off-Antwort. Beide waren am stärksten ausgeprägt in der Repräsentanz des fronto-lateralen dorso-horizontalen Gesichtsfeldes. Diese Vorzugsrepräsentanz zeichnet sich interessanterweise durch relativ hohes zeitliches Auflösungsvermögen aus (Diskussion s. Schwippert, Beneke, Ewert 1995b; vgl. auch Wachowitz & Ewert in prep. 2004).

Unsere früheren Arbeiten mit Hilfe von Einzelzellableitung lieferten Beweise dafür, dass Objekt-definierende Merkmale in diskreten retino-tectalen und retino-praetectalen Repräsentationen des Gesichtsfeldes ausgewertet werden. Ferner zeigte sich, dass die Beziehung von Merkmalen zueinander für Kategorie-Bildung durch praetecto-tectale inhibitorische Einflüsse bewirkt wird. Der Nachweis der Interaktion von Neuronenpopulationen zu Funktionssystemen (Modulen) stand jedoch aus. Hierzu untersuchten wir den Einfluss elektrischer Sehnervreizung und Praetectumreizung auf tectale Feldpotentiale. Opticusreizung löste im kontralateralen Tectum Feldpotentiale mit typischem Verlauf aus, wobei negative Komponenten N1, N2 (entsprechend postsynaptisch excitatorischen Prozessen) und positive Komponenten P2, P3 (entsprechend postsynaptisch inhibitorischen Prozessen) abwechselten. Wie interagieren praetecto-tectale Eingänge mit retino-tectalen? Tatsächlich wurde die N1-Komponente des durch Sehnervreizung evozierten tectalen Feldpotentials nahezu vollständig ausgelöscht, wenn elektrische Praetectumreizung der Sehnervreizung 17-25 ms vorausging. Vergleichbaren Einfluss hat Praetectumreizung auf tectale Feldpotentiale, die durch on/off-Stimulation des kontralateralen Auges evoziert werden. Dies beweist, dass erregende visuelle Eingänge im superfiziellen Tectum mit Eingängen aus der Praetectumregion inhibitorisch interagieren, möglicherweise durch praesynaptische Inhibition (Schwippert, Beneke, Ewert 1995a; Ewert et al. 1996).

Teilabschnitt: Identifikation von Projektionsneuronen praetecto-tectaler Netzwerke. Mit dem Beweis praetecto-tectaler ipsilateraler inhibitorischer Interaktionen stellte sich die Frage nach den Neuronentypen, die aus der Praetectumregion in das ipsilaterale Tectum projizieren. Wir sind dieser Frage mit Hilfe der antidromen Stimulations/Ableittechnik nachgegangen. Diese Methode erlaubt es, von einzelnen Praetectumneuronen abzuleiten, sie aufgrund ihrer extrazellulären Antworten auf visuelle Reizmerkmale (Bewegung, Größe, Konfiguration, Textur, Ort im Gesichtsfeld, etc.) physiologisch zu klassifizieren und entsprechend ihrer antidromen Antwort auf elektrische Tectumreizung eindeutig als praetecto-tectale Projektionsneuronen zu identifizieren. Mit den Neuronenklassen TH1 bis TH10 wurden für Agakröten die früher von uns bei Bufo americanus beschriebenen Neuronen des praetectalen Thalamus bestätigt; eine weitere Neuronenklasse TH11 trat hinzu. Generell stellt sich die Praetectumregion von ihrer neuronalen Reaktionscharakteristik betrachtet als komplexes Funktionssystem dar, das durch Interaktion mit anderen Hirnstrukturen für verschiedene Teil-Aufgaben diskriminatorisch wirkt bzw. visuelle Unterscheidungen verschärft (mittels TH3-und TH4-Neuronen), aber auch die Kröte zur Vorsicht mahnt: wie z.B. vor stationären Hindernissen (mittels TH10) oder vor Bedrohung (mittels TH3 oder TH6). Darüber hinaus trägt dieses Funktionssystem unter Mitwirkung von bewegungsrichtungsspezifischen TH11-Neuronen zur Raumkonstanz bei.

Zur Frage von Projektionsneuronen konnten wir erstmals beweisen, dass unter den visuell sensitiven Neuronen Vertreter der Klassen TH3 (Kleinfeld-Neuronen) und TH4 (Großfeld-Neuronen) ihre Axone in das Tectum opticum entsenden. Beide Neuronentypen reagieren auf große bewegte Flächen, bewegten strukturierten Hintergrund und – figural – auf Ausdehnungen quer zur Bewegungsrichtung (Merkmal xl 2). Diese Neuronen zeigen im Gegensatz zur Klasse TH11 keine Spezifität für die Bewegungsrichtung. Die Befunde interpretieren wir dahingehend, dass praetecto-tectale inhibitorische Projektionen via TH3-Neuronen für die relationale Merkmalszuordnung xl 1 : xl 2 verantwortlich sind. Demgegenüber ermöglichen TH4-Neuronen eine Objekt/Hintergrund-Separierung sowie die Unterscheidung zwischen Objektbewegung und selbstinduzierter Bewegung (Buxbaum-Conradi & Ewert 1995). Die Bedeutung prosencephaler (telencephal, diencephal) und mesencephaler Funktionsstrukturen besteht in ihrem unterschiedlichen zweckgebundenen Zusammenwirken (Buxbaum-Conradi & Ewert 1999; Ewert et al. 2001).

Teilabschnitt: Lokale pharmakologische Beeinflussung visueller Antworten im Tectum opticum. In den vorstehenden Teilabschnitten stellten sich Fragen nach prae- und postsynaptischen Prozessen, denen im vorliegenden Abschnitt neuropharmakologisch nachgegangen werden sollte. Immuncytochemische Untersuchungen von Kozicz & Lázár (1994) haben gezeigt, dass jene thalamischen praetectalen Bereiche, in denen wir zum Tectum projizierende TH3- und TH4-Neuronen identifiziert haben, Neuropeptid-Y-immunreaktive Zellen aufweisen. Im Einklang hierzu fehlte die immunpositive Reaktion in ipsilateralen superfiziellen Tectumschichten, wenn im gleichseitigen Praetectum eine Läsion gesetzt wurde. Wir konnten zeigen, dass die N1-Komponente des durch Sehnervreizung evozierten tectalen Feldpotentials bei tectaler Administration von NPY stark abgeschwächt wird. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass TH3 und/oder TH4 Projektionsneuronen den retino-tectalen Signaltransfer durch Ausschüttung von NPY praesynaptisch inhibitorisch kontrollieren (Schwippert & Ewert 1995; Schwippert, Röttgen, Ewert 1996; Ewert 2004).

Weitere Untersuchungen galten dem Einfluss "klassischer" Neurotransmitter auf tectale Feldpotentiale bei on/off-Reizung. Acetylcholin (ACh) führte zu einer initialen Vergrößerung und nachfolgenden Verkleinerung der N1- und P2-Komponenten, was auf nikotinisch cholinerge retinotectale Übertragung und verzögerte Rezeptor-Desensibilisierung hinweisen könnte. Entsprechend entgegengesetzte Effekte hatte der ACh-Antagonist alpha-Tubocurarin. GABA bewirkte eine unerwartete Vergrößerung aller Komponenten, während der Antagonist Picrotoxin entgegengesetzte Wirkung zeigte, was auf einen speziellen GABAergen excitatorischen Mechanismus hinweist. Lokal verabreichtes Dopamin, die Vorstufe L-Dopa oder der Dopamin-Agonist Apomorphin hatten keinerlei Einfluss auf das tectale Feldpotential (Gernert & Ewert 1995). Angesichts der Bedeutung dopaminerger Modulationen in verschiedenen Funktionsstrukturen des Wirbeltiergehirns haben wir den Einfluss systemisch verabreichten Apomorphins auf das tectale Feldpotential untersucht. Die N1- und P3-Komponenten waren jetzt beachtlich vergrößert, was auf verstärkten erregenden tectalen Eingang hinweist, der durch einen ebenso verstärkten inhibitorischen Prozess im Tectum terminiert wird. Intraokular verabreichtes Apomorphin oder Dopamin zeigte ähnliche Effekte. Erwartungsgemäß zeigte der Dopamin-Antagonist Haloperidol entgegengesetzte Wirkung. Damit ist auch für Amphibien der Nachweis dopaminerger Beeinflussung des retinalen Netzwerks erbracht (Schwippert, Gernert, Ewert 1995; Ewert & Schwippert 2004/5).

Teilabschnitt: Systemische Netzwerkmodulation. Dopaminerge Prozesse greifen bei Säugern in Sensorik, Motivation, Lernen und Motorik ein. Wir haben den Einfluss systemischer Verabreichung des Dopamin-Agonisten Apomorphin (APO) auf das visuell gesteuerte Beutefangverhalten, die regionale cerebrale metabolische Aktivität, die Antworten von retinalen Ganglienzellen der retinotectalen Projektion und die Antworten von Tectumneuronen untersucht. Unter dem Einfluss von APO war die Beuteschnappaktivität – dosisabhängig – stark erhöht; demgegenüber waren alle lokomotorischen Komponenten (Sich-Zuwenden, Sich-Annähern, Nachvornbeugen) unterdrückt. Der Beutefang zeigte sich folglich starr und stereotyp (Schürg-Pfeiffer & Ewert 1995). Verabreichung des Dopamin-Antagonisten Haloperidol hob dieses Syndrom wieder auf. Ableitungen retinaler Klasse R2- und R3-Neuronen zeigten unter APO eine erhebliche Vergrößerung ihrer rezeptiven Felder und eine Erhöhung ihrer Entladungsraten auf bewegte Objekte. Die naheliegende Vermutung, dass die erhöhte Schnappaktivität unter APO auf die erhöhte retinale Aktivierbarkeit zurückzuführen ist, hatte sich jedoch nicht bestätigt. Vielmehr wurde deutlich, dass die dopaminerge Vergrößerung der rezeptiven Felder retinaler Ganglienzellen keinen Einfluss auf den Merkmalsbeziehungs-Algorithmus hat (Glagow & Ewert 1994; 1999). Dies unterstützt das Konzept, wonach Merkmal-Klassifikation auf Modul-Interaktion beruht und stellt gleichzeitig ein klassisches Dogma der Neurophysiologie infrage, nämlich die Bedeutung der Größe von rezeptiven Feldern für wahrnehmungskategoriale Leistungen.

Interessanterweise stand dem unter APO verstärkten retino-tectalen Eingang eine stark reduzierte visuelle Ansprechbarkeit von T5.1- und T5.2-Tectumneuronen gegenüber. Die beuteselektiven T5.2-Neuronen spiegeln in ihrer Antwortcharakteristik den Merkmalsbeziehungs-Algorithmus wider und projizieren zu den bulbar/reticulären Strukturen der motorischen Koordinationsysteme (Satou & Ewert 1985). Die beuteselektive Antwortcharakteristik bleibt nach Verabreichung von APO – unterschwellig – erhalten (Glagow & Ewert 1995; 1999). Die geringe Ansprechbarkeit jener Neuronen erklärt offensichtlich den Ausfall visuell gesteuerter lokomotorischer Beutefangreaktionen unter APO, nicht jedoch die erhöhte konsumatorische Schnappreaktivität.

Autoradiografische Untersuchungen der 14C-2-Desoxiglucose-Aufnahme in den Gehirnen von Kröten, die entweder mit einer Beuteattrappe oder mit Nichtbeute oder mit einer Feinattrappe wiederholt stimuliert worden waren, bildeten entsprechende Aktivitäten in den Retina-gespeisten praetectalen und tectalen Funktionsmodulen ab (Glagow & Ewert 1999).

  Antiwurm, monokular

  Wurm,binokular

Unter APO waren jedoch die Verhältnisse in der Beutefangsituation erheblich verändert: die metabolische Aktivität war im caudalen praetectalen Thalamus sehr stark und ebenfalls im superfiziellen Tectum, jedoch schwach in den zentralen tectalen Schichten. Möglicherweise verstärkt der APO-geförderte retinale Eingang in das Praetectum die praetectale Hemmung retino-tectalen Signaltransfers und damit die Hemmung von T5.1- und T5.2-Typ-Neuronen (Dreisvogt, Schwippert, Ewert, in prep. 2004; vgl. auch Funke, Schwippert, Ewert, in prep. 2005).

Wie erklärt sich jedoch die verstärkte Schnappaktivität? Unter APO ist die 14C-2DG-Aufnahme in bulbar/retuculären Strukturen – die in die Schnappmotorik integriert sind – stark erhöht. Es ist denkbar, dass schwache tectofugale Beutesignale (Satou & Ewert 1985) unterhalb der Triggerschwelle für die Körperwendemotorik liegen, jedoch überschwellig für die Schnappmotorik sind, wenn APO dort die Triggerschwelle entsprechend moduliert. Die APO-bedingten Wirkungen auf praetectale Strukturen (Hemmung des tectalen Beutefangwendesystems) und auf medulläre Strukturen (Förderung des reticulär/hypoglossalen Schnappsystems) überlagern sich gewissermaßen.

Auf der einen Seite erhalten wir durch diese systemische Netzwerkmodulation subtile Einblicke in das "Spiel der Kräfte" im globalen zentralen Wirkungsgefüge eines Makronetzwerks; auf der anderen Seite gewinnen wir Einsichten in "Wirkungen" und "Nebenwirkungen" systemisch verabreichter Neuropharmaka. In Anbetracht der Bedeutung dopaminerger Prozesse für Lern- und Motivationssysteme ist die relativ starke 14C-2DG-Aufnahme unter APO im "Primordium hippocampi" und im dorsalen Hypothalamus besonders erwähnenswert (Ewert et al. 2001; Ewert 1997, 2004).

Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang von Interesse, nämlich die pharmakologische Justierung von Beutefangstrategien. Frösche, Rana esculenta, gehören zu den sog. "Wartetieren". Sie sitzen in Deckung unbewegt am Ufer und warten, bis ein Beutetier ihr Gesichtsfeld durchquert und schnappen dann zu. Kröten, Bufo bufo, gehören zu den "Jägern". Sie sind mobil und durchstreifen in der Dämmerung ihr Revier, bis sie auf Beute treffen und sie schnappen. Beide Strategien haben Vor- und Nachteile. Der in Deckung unbewegte Frosch ist vor Feinden besser geschützt; sein Fangerfolg hängt jedoch vom Zufall vorüberziehender Beute ab. Die mobile Erdkröte gibt ihre Deckung auf, ist damit vor Feinden weniger geschützt, jedoch zu Gunsten erhöhten Beute-Fangerfolgs. Zwischen beiden Fangstrategien gibt es Übergänge. Offenbar hängen diese Strategien von Dopaminwirkungen im ZNS ab: unter dem Einfluss des Dopamin-Agonisten Apomorphin wird aus der Jagdstrategie eine Wartestrategie (Glagow & Ewert 1999; Ewert 2004).

Teilabschnitt: Assoziative Modifikation der neuralen Verarbeitungs-struktur. Der relationale Charakter des Schlüssels, der einer Kröten-species die figurale Signalwelt erschließt, gestattet dem Individuum kategoriale Erweiterungen durch assoziatives Lernen. Nach wiederholter Handfütterung assoziieren Kröten die Hand mit Beute und schließen diese in das Beuteschema ein. Dies erfolgt jedoch nicht "handspezifisch"; vielmehr ist der Merkmalsbeziehungs-Algorithmus modifiziert worden durch modulatorische Veränderung von (praetectalen) Netzwerkparametern. Das figurale Selektionsvermögen ist reduziert und das Beuteschema dauerhaft erweitert.

   Wurm & Hand

   Hand- konditioniert

  großes Quadrat, generalisiert

  Antiwurm, generalisiert

Für monokulares Training konnte interocularer Transfer nachgewiesen werden (Dinges & Ewert 1993). Lokale Hirnläsionen weisen auf lernverhaltensrelevante Hirnstrukturen hin. Das posteriore ventromediale Pallium vMP ("Primordium hippocampi") ist eine wichtige, in "lernfähige Modulsysteme" integrierte Struktur.

 

Rechtes vMP aktiviert nach monokularer Hand-Konditionierung

Ist das vMP nach dem Lernprozess zerstört worden, dann wird "verlernt" und die angeborene species-gemeinsame Selektivität des "Beuteschlüssels" kommt wieder zur Geltung (Ewert, Dinges, Finkenstädt 1994; Ewert 1992, 2004).

Kooperation und Entwicklungen von Ewert und Mitarbeitern

  • mit SEKON-Verbundpartner Univ.-Prof. Dr. F. Pfeiffer (Lehrstuhl B f. Mechanik) an der TU München: Experimentierplattform "Kröte/Roboter" (Programm: "MODNetz")
  • mit SEKON-Verbundpartner Univ.-Prof. Dr. H. Ritter (Techn. Fakultät) der Univ. Bielefeld: Experimentierplattform Modell/Kröte
  • mit Mathematikern und Physikern der Univ. Göttingen: Experimentieranleitung für die Untersuchung eines künstlichen BACKPROP-Netzes (Programm: "ODANN")

Die Software Automet, WurmSim, ODANN und MODNetz wurde von uns im Rahmen des SEKON-Projekts entwickelt. Das MODNetz wurde in der von Verbundpartner Prof. Pfeiffer an der TU München etablierten Experimentierplattform "Kröte/Roboter" eingesetzt (Fingerling, Ewert, Menzel, Pfeiffer 1993). Die förderbandbewegten Objekte wurden zunächst in die Klassen greifbar (W-Konfiguration) und nichtgreifbar (A-Konfiguration) unterschieden. Ein weiterer Versuch bestand darin, Objekte ihrer Länge nach in verschiedene Klassen zu unterscheiden, wobei jede Klasse einem bestimmten Längenbereich entsprach. Aufgrund dieser Klassifizierung sollte der Roboter die Objekte in verschiedene Areale sortieren. Im Ausblick befindet sich ein Versuch, in dem die Greifpunkte einer Roboterhand über die visuell gewonnenen Objektmerkmale gesteuert werden sollen.

In Verbundkooperation mit Prof. Ritter wurde eine Methode entwickelt, die es erlaubt, die frei justierbaren Netzwerkparameter durch überwachtes Lernen einzustellen. Die experimentellen Daten über die neuronalen Antworten der Kröte definieren dabei die Zielfunktion für die gewünschte Netzwerkausgabe. Durch den Übergang zu Videosequenzen wurde die Klassifikationsleistung dieses Modellsystems unter natürlichen Bedingungen erfolgreich geprüft. Da biologische Experimente oft schwierig und langwierig sind, ist daran gedacht, mit einem verfeinerten Modell eine Vielzahl von Experimenten zur Statistik von Reizantworten simulierend durchzuführen und dann jeweils nur die interessantesten Ergebnisse im Experiment zu verifizieren bzw. zu falsifizieren. Darüber hinaus wird anwendungsorientiert eine Einbindung der Reizantwortsignale in eine Aktionsgenerierung angestrebt.

In Verbundkooperation zwischen Prof. Cruse und Prof. Pfeiffer wurde eine Laufmaschine entwickelt, die einige Fortbewegungsprinzipien von Stabheuschrecken nutzt. Mit einem MODNetz und einer im Verbund Pfeiffer/Ritter entwickelten Roboterhand ausgestattet könnte diese Laufmaschine bei variabler Position zwischen Sensor (Kamera) und Zielobjekt einerseits bewegte Objekte, andererseits aber auch durch die Laufbewegung induzierte Bewegungsmuster, Bedeutungsklassen zuordnen und entsprechend handhaben.

Die neurobiologischen Ergebnisse liefern wichtige neue Beiträge für die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der visuellen Informations-verarbeitung in "neuronaler Architektur". Auf Beispiele für technische Einsatzmöglichkeiten des MODNetzes wurde oben bereits eingegangen. Das Verbundprojekt SEKON war grundlagen- und anwendungsorientiert. Der Brückenschlag von der Neurobiologie zur Robotik ist erfolgreich praktiziert worden. Durch SEKON wurden in der Abt. Neurobiologie diverse Anschlussprojekte initiiert und bis heute gefördert.

                                                                                                                                    Visueller input ......                 

Neurales Makronetzwerk (Stand: 1999), das bei Amphibien zwischen olfaktorischen Eingängen und visuellen Einängen, einerseits, und Beute-Schnappen, andereseits, vermittelt, - in diesem Beispiel unter dem Einfluss von systemisch appliziertem Apomorphin (Dopamin D1/D2 Agonist). Die Erdkröte schnappte während dieser Zeit nach einer Beuteattrappe (in Abwesenheit olfaktorischer Stimuli).  * Strukturen beherbergen dopaminerge Zellsomata; # Strukturen enthalten dopaminerge Fasern. Dicke Linien: stark aktivierte Verbindungswege.  Aus Ewert et al. 2001


Anschlussprojekte

Visuelles System von Amphibien

  • Figurale Beuteerkennung bei Rotbauchunken während der Ontogenese. Untersuchungen zum Konzept des "Angeborenen Auslösemechanismus, AAM" (Petra Kuhn)
  • Retinotopische Abhängigkeiten der zeitlichen Auflösung bei stroboskopischer Belichtung bei Kröten (Sabine Wachowitz) 
  • Visuelle zeitliche Auflösung von retinalen R3-Neuronen in der retino-tectalen Projektion der Agakröte (Sabine Wachowitz)
  • Einfluss des Dopamin-Agonisten Apomorphin auf Beutefangstrategien der Erdkröte. Verhalten, Hirnmetabolismus, neuronale Antwortcharakteristik (Michael Glagow) 
  • Einfluss von Neuropharmaka auf visuell evozierte Summenpotentiale des Praetectum und des Tectum opticum von Kröten (Michael Glagow)
  • Antwortcharakteristik von efferenten Projektionsneuronen des caudalen ventralen Striatum der Kröte (Harald Buxbaum-Conradi)
  • Einfluss von Neuropeptid Y (NPY) auf die Erregungsübertragung von der Retina zum Tectum opticum bei Kröten (Wolfgang W. Schwippert)
  • Applikation von NPY auf das dorsale Tectum opticum reduziert den Glukose-Gebrauch in Retina-rezipienten tectalen Schichten: Eine quantitative Untersuchung mit Hilfe der 14C-2-Desoxiglukose-Technik (Simone Funke). 

 Tectum-Oberfläche ohne NPY

 Radio-aktivität längs der in Aa angegebenen Sektoren 1-6

 Tectum linke Oberffläche mit NPY

 Radio-aktivität längs der in Ab angegebenen Sektoren 1-6

Aus: Funke, S. & Ewert, J.-P. (2006) Neuropeptid Y suppresses glucose utilization in the dorsal optic tectum towards visual stimulation in the toad Bombina orientalis: a 14C-2-Desoxyglucose study. Neuroscience Letters 392(1-2) 43-46.

 

Anwendungen und Ausblicke

Aus dem SEKON-Projekt sind im Projekt Ewert – incl. Anschlussprojekte – insgesamt 9 abgeschlossene Dissertationen entstanden, und 44 Publikationen sind in wissenschaftlichen Organen und Buchbeiträgen veröffentlicht worden. Außer dem MODNetz und dessen Demonstrationsprogramm wurde als Nebenergebnis diverse Software entwickelt – ODANN, WurmSim, Automet, Spikator – die für einen relativ breiten Anwenderkreis von Interesse sein dürfte.

Das entwickelte Programm ODANN ist bei der Endausscheidung des Deutsch-Österreichischen Hochschul-Software-Wettbewerbs 1993 als herausragende Leistung bewertet worden. Mit dem Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF Wissen und Medien gGmbH, Göttingen) wurde der Lehrfilm "Bildverarbeitung im Sehsystem der Erdkröte, – Verhalten, Hirnfunktion, Künstliches Neuronales Netz" gedreht. Dieser Film wurde 1994 von der International Association for Media in Science (IAMS) ausgezeichnet. Video-Clips dieses Lehrfilms wurden in die DVD-Version von Elsevier’s Encyclopedia of Neuroscience (3rd Edition. 2004) aufgenommen.

An die Ergebnisse des visuellen Systems der Kröte aus dem Projekt Ewert anknüpfend wurde neuerdings von Dr. Ann Reddipogu von der Robert Gordon University  (School of Engineering, Aberdeen, UK) ein artifizielles neuronales Netz (AAN) entwickelt. Das Netz bedient sich Evolutionärer Algorithmen für Reinforcement Learning (EARL)  in einem Distributed Neural Network (DNN) mit kooperativen Modul-Konfigurationen entsprechend der neurophysiologischen Schaltungen (Ewert, 1974, 1987, 2004). Die Gewichte der Netzverbindungen wurden in Chromosomen codiert, die die Population potentieller Lösungen gestalten (16 Chromosomen, jeweils 98 Gene). Ann Reddipogu und Mitarbeiter wandten das Konzept des Reinforcement Learning an, um das Netzwerk zu trainieren. Die Fitness jedes Chromosoms wurde bewertet. Maximale Fitness, die das Netzwerk erreichen konnte, basierte auf der Klassifikation des zu erkennenden Musters, der Aktivierung der Neuronen und der Anzahl von Neuronen mit verschiedenen Aktivitätszuständen. Populationen von Lösungen wurden generiert durch Anwendung genetischer Operationen (Mutation, Crossing-Over) für die besten Lösungen, die die Eltern der folgenden Generation stellen (vgl. A. Reddipogu, G. Maxwell & C. MacLeod: An innovative neural network based on the toad's visual system; Proceedings of ACIVS 2002 [Advanced Concepts for Intelligent Vision Systems], Ghent, Belgium, Sept. 1-11, 2002). Eine der hervorstechenden neuen Eigenschaften dieses ANN – gegenüber allen anderen ANNs –  besteht darin, dass es auch Kombinationen verschiedener Mustermerkmale erkennt für die es nicht trainiert worden ist. Dr. Reddipogu arbeitet z.Z. an Weiterentwicklungen jenes ANN zwecks Anwendung für Medical Imaging (in Zusammenarbeit mit Forschern aus Schottland) und für Food Processing (mit Forschern aus Holland).

Bildmaterial Quelle: Institut für den Wissenschaftlichen Film http://mkat.iwf.de/index.asp?Signatur=C+1805